Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts "Sitz! Platz! Bleibt!" diskutiert Host Nicole mit dem Experten Sami das oft kontrovers diskutierte Thema Maulkorb für Hunde. Sie beleuchten, warum ein Maulkorb weit mehr als nur eine Reaktion auf Aggressivität ist und stattdessen ein wichtiges Werkzeug für Sicherheit, Training und die Einhaltung von Vorschriften sein kann.
Die Episode richtet sich an alle Hundebesitzer und klärt darüber auf, warum jeder Hund an einen Maulkorb gewöhnt sein sollte. Die zentrale Frage ist, wie man den Maulkorb als proaktives Hilfsmittel für mehr Freiheit und Sicherheit nutzen kann, anstatt ihn als Zeichen des Versagens zu sehen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Proaktive Vorsorge: Ein Maulkorb sollte frühzeitig und positiv trainiert werden, nicht erst, wenn es einen Vorfall gab oder eine behördliche Auflage besteht.
- Gesetzliche Pflichten: In vielen Situationen wie in der Deutschen Bahn, in öffentlichen Verkehrsmitteln in Österreich oder auf Fähren ist das Tragen oder Mitführen eines Maulkorbs vorgeschrieben.
- Mehr als nur Sicherheit: Ein Maulkorb kann ein wertvolles Trainingshilfsmittel sein, um Hunden bei innerartlicher Aggression oder umgelenkter Aggression gegen den Halter zu helfen, alternative Verhaltensstrategien zu erlernen.
- Die richtige Passform ist entscheidend: Ein guter Maulkorb muss dem Hund erlauben, frei zu hecheln (Wärmeregulierung), zu trinken und Leckerlis aufzunehmen. Maulschlaufen sind hierfür ungeeignet.
- Ein Zeichen von Verantwortung: Einen Maulkorb zu nutzen, ist ein Ausdruck von Verantwortungsbewusstsein und schützt den eigenen Hund, andere Tiere und Menschen.
- Soziale Akzeptanz fördern: Statt Halter von Hunden mit Maulkorb zu stigmatisieren, sollte man ihr verantwortungsvolles Handeln anerkennen und unterstützen.
- Vielfältige Einsatzbereiche: Neben dem Schutz vor Bissen dient ein Maulkorb auch als Fressschutz gegen Giftköder oder bei Tierarztbesuchen, um Stress für alle Beteiligten zu reduzieren.
Warum jeder Hund einen Maulkorb kennen sollte: Mehr als nur ein Notfall-Werkzeug
Sami eröffnet die Diskussion mit einem klaren Plädoyer: Die Gewöhnung an einen Maulkorb sollte ein Standardbestandteil der Hundeerziehung sein und nicht erst nach einem Beißvorfall erfolgen. Er berichtet von seiner Reise nach Italien und Frankreich, wo das Mitführen oder Tragen eines Maulkorbs an vielen öffentlichen Orten, wie in Seilbahnen oder Zügen, Pflicht ist. Viele Hundebesitzer, so Sami, sind sich dieser Vorschriften nicht bewusst. Auch in Deutschland besteht beispielsweise in Zügen der Deutschen Bahn eine Maulkorbpflicht, wenn der Hund nicht in einer Transportbox reist.
Das frühzeitige Training hilft dem Hund zu verstehen, dass der Maulkorb eine temporäre Einschränkung ist, die aber nicht seine gesamte Lebensqualität beeinträchtigt. Sami betont, dass es darum geht, dem Hund zu zeigen, dass er trotz des Maulkorbs atmen, trinken und sogar fressen kann.
Der Maulkorb als Trainings- und Management-Hilfsmittel
Der Maulkorb ist laut Sami nicht nur eine Sicherheitsmaßnahme, sondern auch ein effektives Werkzeug im Training und Management. Er kann in vielen Situationen für mehr Freiheit und Entspannung bei Hund und Halter sorgen.
- Bei Vergesellschaftungen: Nicole teilt ihre persönliche Erfahrung, wie sie einen Maulkorb bei ihrem Hund Sherlock nutzte, um ihn sicher an den neuen Welpen Jaxon zu gewöhnen, da Sherlock Welpen gegenüber skeptisch ist.
- Beim Tierarzt: Tierärzte sind dankbar, wenn Hunde an einen Maulkorb gewöhnt sind, da dies den Stress für das Tier während einer Untersuchung erheblich reduziert.
- Alternative Strategien lernen: Ein Hund, der dazu neigt, schnell seine Zähne einzusetzen, kann durch einen Maulkorb lernen, auf andere Kommunikationsformen wie Körpersprache oder Drohgebärden zurückzugreifen. Er merkt, dass Beißen keine Option ist, und entwickelt dadurch neue Lösungsstrategien.
- Umgelenkte Aggression: Bei Hunden, die aus Frust den eigenen Halter beißen, schützt der Maulkorb den Menschen. Dies ermöglicht dem Halter, in der Situation ruhig und souverän zu bleiben und das Problem konstruktiv zu bearbeiten.
- Als Fressschutz: Für Hunde, die zwanghaft alles vom Boden aufnehmen, kann ein Maulkorb lebensrettend sein, indem er die Aufnahme von Giftködern verhindert.
Sami unterstreicht, dass gut moderierte Sozialisierungsgruppen, in denen Hunde mit Maulkorb interagieren, oft beeindruckende Lernerfolge zeigen. Die Hunde beginnen nachzudenken und entwickeln kreative, positive Verhaltensweisen.
Soziale Stigmatisierung und die Vision einer umgekehrten Maulkorbpflicht
Ein großes Problem, das Sami anspricht, ist die soziale Stigmatisierung von Haltern, deren Hunde einen Maulkorb tragen. Ihnen wird oft fälschlicherweise unterstellt, sie hätten in der Erziehung versagt oder einen „gefährlichen“ Hund. Sami argumentiert, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Diese Menschen handeln äußerst verantwortungsbewusst.
Er stellt ein Gedankenexperiment in den Raum: Was wäre, wenn es eine generelle Maulkorbpflicht für alle Hunde gäbe? Ähnlich wie bei der Leinenbefreiung in Hamburg könnten Halter dann durch Prüfungen wie einen Hundeführerschein oder Wesenstest eine „Maulkorbbefreiung“ für ihren Hund erwirken. Ein solcher Ansatz würde laut Sami die Normalität von Maulkörben fördern und die Stigmatisierung abbauen. Es würde das Bild vom „gefährlichen Hund“ hin zu „Standard-Sicherheitsausrüstung“ verschieben.
Den richtigen Maulkorb finden: Passform und Material sind entscheidend
Die Auswahl des richtigen Maulkorbs ist essenziell für das Wohlbefinden und die Sicherheit des Hundes. Sami erklärt die wichtigsten Kriterien:
- Hecheln ermöglichen: Der Maulkorb muss so geräumig sein, dass der Hund sein Maul weit öffnen und hecheln kann. Dies ist für die Thermoregulation unerlässlich.
- Freie Sicht und freie Nase: Er darf die Augen nicht beeinträchtigen und muss die Nase frei lassen.
- Sicherer Sitz: Die Riemen müssen so sitzen, dass der Hund den Maulkorb nicht abstreifen kann.
Sogenannte Maulschlaufen, die das Maul fest verschließen, sind tierschutzrelevant und als Maulkorb ungeeignet. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Kopfformen bei Hunden kann die Suche nach dem perfekten Modell eine Herausforderung sein. Sami empfiehlt spezialisierte (Online-)Shops, die eine fundierte Beratung - teilweise sogar per Video - anbieten und eine große Auswahl an Modellen führen. Auch einige Hundeschulen bieten mittlerweile Maulkorb-Beratungen an.
Praktische Schritte: So gewöhnst du deinen Hund an den Maulkorb
Sami und Nicole geben konkrete Tipps für die Gewöhnung an den Maulkorb:
- Positive Verknüpfung schaffen: Lege anfangs Leckerlis in den Maulkorb, sodass der Hund seine Nase freiwillig hineinsteckt, um sie zu fressen. Du kannst auch Leberwurstpaste an der Innenseite verstreichen, damit der Hund länger darin verweilt.
- Dauer langsam steigern: Sobald der Hund seine Nase gerne in den Maulkorb steckt, kannst du ihn für einen kurzen Moment schließen, den Hund dabei loben und belohnen und ihn sofort wieder abnehmen.
- Nicht übertreiben: Sami rät davon ab, die Gewöhnung unnötig in die Länge zu ziehen. Ähnlich wie bei einem medizinischen Trichter nach einer OP ist es manchmal besser, den Maulkorb kurz und selbstverständlich aufzusetzen, anstatt ein wochenlanges Ritual daraus zu machen. Der Kontext ist entscheidend.
- In den Alltag integrieren: Nutze den Maulkorb nicht nur in potenziell stressigen Situationen. Setze ihn auch auf entspannten Spaziergängen auf, damit er zu einem normalen Teil des Alltags wird.