Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
Mehr über das Projekt Petcaster
In dieser Episode des Podcasts "The Petfood Family" spricht Host Jan mit dem Biologen, Bestseller-Autor und Wissenschaftsjournalisten Dr. Peter Spork. Im Zentrum des Gesprächs steht die Epigenetik - ein Forschungsfeld, das erklärt, wie Umwelteinflüsse und Lebenserfahrungen die Gene eines Hundes steuern, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern.
Dr. Spork erläutert, warum Gene kein unabänderliches Schicksal sind und wie Haltung, Training und Zucht das Verhalten und die Gesundheit eines Hundes nachhaltig prägen können. Diese Episode richtet sich an alle Hundebesitzer, Trainer und Züchter, die verstehen möchten, wie sie durch die Gestaltung des Umfelds das Wohlbefinden ihres Hundes auf biologischer Ebene beeinflussen können, und liefert die wissenschaftliche Grundlage für viele bereits aus Erfahrung bekannte Zusammenhänge.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Gene sind kein Schicksal: Dr. Peter Spork erklärt, dass die Epigenetik als "zweiter Code" über der DNA liegt. Dieser Code bestimmt durch Schalter und Dimmer, welche Gene wie stark aktiviert werden. Das Verhalten und die Gesundheit eines Hundes hängen somit weniger vom genetischen Bauplan als von dessen Nutzung ab.
- Das Umfeld prägt den Hund: Ernährung, Stress, soziale Interaktionen und Training verändern die epigenetischen Schalter. Positive wie negative Erfahrungen schreiben sich direkt in die Biologie des Hundes ein und können langanhaltende Effekte haben.
- Die ersten Lebenswochen sind entscheidend: Die Zeit um die Geburt herum (perinatale Phase) ist eine extrem sensible Entwicklungsphase. Stress, den die Mutterhündin während der Trächtigkeit erlebt, kann die Stressregulation der Welpen über Hormone und epigenetische Programmierung lebenslang beeinflussen.
- Rassetypisches Verhalten ist großteils „Kultur“: Eine von Dr. Spork zitierte Studie zeigt, dass nur etwa 9 % des rassetypischen Verhaltens auf die Genetik zurückzuführen sind. Der Rest ist ein Produkt aus "Kultur": Zuchtpraktiken, Haltererwartungen und Trainingsmethoden, die über Generationen weitergegeben werden.
- Veränderung braucht Zeit und Nachhaltigkeit: Schnelle Trainingserfolge ändern oft nur das sichtbare Verhalten, nicht aber die tiefere epigenetische Programmierung. Ähnlich dem Jojo-Effekt bei Diäten kehren alte Muster zurück, wenn die Veränderungen nicht langsam und beständig umgesetzt werden.
- Ändere das Leben, nicht den Hund: Der zentrale Leitsatz von Dr. Spork lautet: „Versuchen Sie nicht, Ihren Hund zu ändern. Ändern Sie stattdessen, wie er lebt.“ Indem du ein positives, anregendes und sicheres Umfeld schaffst, ermöglichst du dem Hund, sich von selbst in eine positive Richtung zu entwickeln.
Genetik vs. Epigenetik: Die zwei Codes des Lebens
Dr. Peter Spork beginnt mit einer grundlegenden Unterscheidung. Die Genetik beschreibt den ersten Code - die feste Abfolge der DNA-Bausteine. Dieser Code ist der Bauplan für den Organismus und bestimmt einfache Merkmale wie die Fellfarbe. Man ging lange davon aus, dass dieser Code das gesamte Wesen eines Hundes festlegt.
Die Epigenetik hingegen ist der zweite, flexiblere Code. Dr. Spork beschreibt ihn als eine Art Software, die über der Hardware der Gene liegt. Dieser Code besteht aus chemischen Markierungen (z. B. Methylgruppen) an der DNA, die wie Schalter oder Dimmer wirken. Sie legen fest, ob ein Gen leicht zugänglich und aktivierbar ist oder stummgeschaltet wird. Jede Zelle - ob Leber-, Muskel- oder Nervenzelle - besitzt dieselben Gene, doch die Epigenetik sorgt dafür, dass nur die für die jeweilige Zelle relevanten Gene aktiv sind. Dieser Mechanismus ist nicht starr, sondern wird durch Umwelteinflüsse permanent angepasst.
Die Macht des Umfelds: Wie Erfahrungen das Erbgut prägen
Die Epigenetik bildet die direkte Schnittstelle zwischen Umwelt und Genen. Das bedeutet, dass die Lebensweise eines Hundes seine Biologie bis auf die zelluläre Ebene beeinflusst. Dr. Spork betont, dass dies Hundehalter handlungsfähig macht: Sie sind den genetischen Anlagen ihres Hundes nicht hilflos ausgeliefert.
Besonders prägend ist die sogenannte perinatale Phase (bei Hunden ca. 130 - 140 Tage um die Geburt). In dieser Zeit entwickeln sich die Organsysteme und sind extrem empfänglich für äußere Signale. Erlebt die Mutterhündin während der Trächtigkeit starken Stress, gelangen Stresshormone in den Blutkreislauf der Welpen. Dies kann deren epigenetische Programmierung so verändern, dass ihr Stresssystem dauerhaft sensibler reagiert. Ein solches Tier ist biologisch auf eine gefährliche Umwelt vorbereitet, was in der Wildnis überlebenswichtig wäre, im häuslichen Umfeld aber zu Ängstlichkeit oder Aggressivität führt.
Dr. Spork macht deutlich, dass solche frühen Prägungen, insbesondere durch Traumata, nur schwer wieder zu verändern sind. Dennoch ist Veränderung möglich, erfordert aber umso mehr geduldige und nachhaltige Arbeit.
Rassetypisches Verhalten neu gedacht: Kultur statt Gene
Eine der provokantesten Thesen von Dr. Spork ist, dass rassetypisches Verhalten weniger genetisch bedingt ist als gemeinhin angenommen. Er zitiert eine Studie von Elinor Carlson, die besagt, dass nur 9 % der Verhaltensunterschiede zwischen Rassen auf genetische Varianten zurückgehen. Die restlichen 91 % führt Dr. Spork auf den von ihm geprägten Begriff der „Kultur“ zurück.
Diese Kultur umfasst alle nicht-genetischen Faktoren, die über Generationen weitergegeben werden:
- Zuchtpraktiken: Wie werden Welpen aufgezogen? Welchen Umgang pflegen Züchter mit den Tieren?
- Haltererwartungen: Ein Hund einer als „mutig“ geltenden Rasse wird oft anders behandelt und gefördert als ein Hund einer als „ängstlich“ geltenden Rasse. Dieses Labeln verstärkt das entsprechende Verhalten.
- Trainingsmethoden: Bestimmte Trainingsansätze sind in der Szene einer Rasse weiter verbreitet als in einer anderen.
Diese kulturellen Einflüsse formen die Epigenetik einer Rasse über die Zeit und führen zu den beobachteten Verhaltensmustern. Dr. Spork argumentiert daher, dass Züchter einen Hund mit unerwünschtem Verhalten nicht zwangsläufig aus der Zucht nehmen sollten, da dieses Verhalten oft nicht genetisch, sondern erworben ist.
Die epigenetische Uhr und die Grenzen der Veränderung
Dr. Spork stellt das Konzept der epigenetischen Uhr vor, mit der das biologische Alter eines Lebewesens gemessen werden kann. Forschungen zeigen, dass die theoretische maximale Lebenserwartung eines Hundes bei etwa 25 Jahren liegt – eine Zahl, die die meisten Hunde bei weitem nicht erreichen. Dies deutet darauf hin, dass die Lebensbedingungen einen enormen Einfluss auf den Alterungsprozess haben.
Gleichzeitig warnt er vor überzogenen Erwartungen. Tief eingravierte epigenetische Muster, etwa aus früher Vernachlässigung, lassen sich oft nicht vollständig umkehren. Es geht nicht darum, aus einem traumatisierten Hund einen sorglosen Draufgänger zu machen. Vielmehr geht es darum, ihm zu helfen, im Rahmen seiner Möglichkeiten ein besseres Leben zu führen. Der Schlüssel dazu ist Gelassenheit und das Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit der Biologie, anstatt dogmatischen Regeln zu folgen.
Praktische Schritte für Hundehalter, Züchter und Trainer
- Konzentriere dich auf das Umfeld: Anstatt zu versuchen, ein unerwünschtes Verhalten direkt zu "korrigieren", gestalte die Lebensumstände des Hundes so, dass er sich sicher, gefördert und wohlfühlt. Die Verhaltensänderung folgt dann oft von selbst.
- Übernimm als Züchter Verantwortung: Die Zucht ist die erste und wichtigste Trainingsphase. Sorge für eine stressfreie Umgebung für die Mutterhündin und biete den Welpen eine reizarme, aber anregende und sichere Aufzucht.
- Sei geduldig und konsequent: Nachhaltige Veränderungen auf epigenetischer Ebene brauchen Zeit. Ein einzelner schlechter Tag oder eine Ausnahme von der Regel ist unproblematisch, solange das gesamte Umfeld langfristig positiv und unterstützend ist.
- Bewerte den individuellen Hund: Verlasse dich weniger auf Rassebeschreibungen und mehr auf die Beobachtung des einzelnen Tieres. Jeder Hund hat das genetische Potenzial für eine Vielzahl von Verhaltensweisen - die Epigenetik entscheidet, welche davon zum Vorschein kommen.
- Bleib gelassen und flexibel: Vertraue auf dein Gefühl und die Bindung zu deinem Hund. Ein zu starrer, dogmatischer Umgang kann mehr Stress erzeugen als nutzen. Die Biologie ist auf Flexibilität ausgelegt.