Mythen der Hundewelt und was die Wissenschaft wirklich sagt

Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida. 
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In dieser Episode des Podcasts "HUNDESTUNDE" spricht Moderatorin Conny Sporrer mit Dr. Marie Nitzschner, einer renommierten Verhaltensbiologin, Hundetrainerin und Wissenschaftskommunikatorin. Dr. Nitzschner, ehemals am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie tätig und heute wissenschaftliche Leitung bei KynoLogisch, teilt ihre Expertise zur Hund-Mensch-Kommunikation und widerlegt auf Basis aktueller Studien populäre Mythen der Hundewelt.

Die zentralen Themen sind die kritische Auseinandersetzung mit der Rassehundezucht, das tatsächliche Schlafbedürfnis von Hunden, die Gesundheit von Mischlingen und die Frage, wie viel Rasse wirklich im Verhalten eines Hundes steckt. Diese Episode ist eine wertvolle Ressource für alle Hundehalter:innen und Trainer:innen, die fundierte, wissenschaftlich basierte Entscheidungen treffen und verbreitete Annahmen kritisch hinterfragen möchten.

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Schlafbedürfnis ist individuell: Die verbreitete Annahme, Hunde bräuchten 17 - 20 Stunden Schlaf, wird von Studien nicht gestützt. Der Durchschnitt liegt eher bei 12 - 14 Stunden (Schlaf und Dösen), wobei die individuelle Variation enorm ist. Entscheidend ist die Beobachtung des eigenen Hundes.
  • Mischlinge sind im Schnitt gesünder: Laut Dr. Nitzschner zeigen Studien, dass Mischlinge mit hoher genetischer Vielfalt im Durchschnitt gesünder sind und länger leben als Rassehunde. Dies gilt jedoch nicht für sogenannte "Designerhunde" (z. B. Labradoodle), die gesundheitliche Probleme beider Elternrassen erben können.
  • Rasse ist keine Garantie für Verhalten: Obwohl Verhaltensmerkmale bei Rassen vererbbar sind, ist die Variation innerhalb einer Rasse extrem groß. Dr. Nitzschner betont, dass die Persönlichkeit des einzelnen Hundes entscheidender ist als pauschale Rassezuschreibungen.
  • Keine wissenschaftliche Basis für "5-Minuten-Regel" bei Welpen: Die Regel, Welpen nur fünf Minuten pro Lebensmonat zu bewegen, ist eine menschliche Faustformel ohne wissenschaftliche Grundlage. Wichtiger ist es, auf Ermüdungszeichen des Welpen zu achten und ihn nicht zu überfordern.
  • Norwegergeschirre schränken nicht per se mehr ein: Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen finden keine einheitlichen Belege dafür, dass gut sitzende Norwegergeschirre die Bewegungsfreiheit stärker einschränken als andere Geschirrtypen. Die Passform ist der entscheidende Faktor.
  • Plädoyer für den erwachsenen Tierschutzhund: Dr. Nitzschner empfiehlt besonders Hundeanfänger:innen, einen erwachsenen, ausgeglichenen Hund aus dem Tierschutz in Betracht zu ziehen, da dessen Charakter oft bereits gefestigt und besser einschätzbar ist als der eines Welpen.

Rassehundezucht und Tierschutz - eine kritische Bestandsaufnahme

Dr. Marie Nitzschner positioniert sich klar: Sie persönlich würde immer einen Hund aus dem Tierschutz adoptieren. Sie ist nicht grundsätzlich gegen Rassehundezucht, kritisiert aber die aktuellen Praktiken scharf. Ihr fehlen tiefgreifende Reformen, um Probleme wie genetische Verarmung und rassebedingte Krankheiten (z. B. Kurzköpfigkeit) wirksam zu bekämpfen. Sie argumentiert, dass in den letzten Jahrzehnten zu lange weggeschaut wurde. Aus ethischer Sicht stellt sie die Frage, ob an jeder Rasse festgehalten werden muss, insbesondere wenn eine Verbesserung der Gesundheit nur über viele Generationen leidender Tiere möglich wäre. Entscheidungen sollten, so Dr. Nitzschner, zum Wohle der Hunde und nicht zur Befriedigung des menschlichen Egos getroffen werden.

Wissenschaft trifft Praxis im Hundetraining

Auf die Frage, wie Wissenschaft ihren Trainingsalltag beeinflusst, erklärt Dr. Nitzschner, dass ihr Wissen und ihre praktische Herangehensweise untrennbar miteinander verbunden sind. Ihr "Bauchgefühl" als erfahrene Trainerin sei durch wissenschaftliche Erkenntnisse über Lerntheorie, Kognition und Motivation geprägt und unterscheide sich daher von dem eines Laien. Sie betont, dass sie nicht aktiv über Studien nachdenkt, während sie trainiert, sondern dass das Wissen ihre Intuition und ihre Fähigkeit, das Ausdrucksverhalten eines Hundes schnell zu deuten, geformt hat. Beide Expertinnen sind sich einig, dass mehr Wissen zu mehr Respekt und einer gesunden Vorsicht im Umgang mit Hunden führt.

Populäre Mythen der Hundewelt auf dem Prüfstand

Ein zentraler Teil des Gesprächs widmet sich der Aufklärung verbreiteter Annahmen:

  • Schlafbedürfnis: Die oft zitierte Regel von 17 - 20 Stunden Ruhe pro Tag entbehrt laut Dr. Nitzschner einer wissenschaftlichen Grundlage. Studien an Labor- und Wildhunden deuten auf einen Durchschnitt von 12 - 14 Stunden hin. Sie betont, dass die Bandbreite riesig ist und es entscheidend sei, den individuellen Hund zu beobachten und ihm einen ruhigen Rückzugsort zu bieten, an dem er wirklich entspannen kann.
  • Gesundheit von Mischlingen: Dr. Nitzschner bestätigt, dass Studien einen Gesundheitsvorteil für Mischlinge mit hoher genetischer Vielfalt ("Straßenmischungen") im Durchschnitt belegen. Dieser Effekt ist auf den größeren Genpool zurückzuführen, der die Wahrscheinlichkeit für Erbkrankheiten senkt. Sie warnt jedoch davor, dies auf Hybridrassen wie Labradoodles zu übertragen, da diese die gesundheitlichen Nachteile beider Ursprungsrassen in sich vereinen können.
  • Bewegung bei Welpen: Die "5-Minuten-Regel" (fünf Minuten Bewegung pro Lebensmonat) sei eine Erfindung ohne wissenschaftliche Evidenz. Dr. Nitzschner sieht sie allenfalls als grobe Orientierung für unsichere Halter:innen. Viel wichtiger sei es, den Welpen genau zu beobachten und bei Anzeichen von Erschöpfung die Aktivität zu beenden, anstatt sich an starre Zeitvorgaben zu halten.

Die Rolle von Rasse, Persönlichkeit und Individualität

Dr. Nitzschner verweist auf eine Studie, die zeigt, dass Verhaltensmerkmale zwar innerhalb von Rassen vererbbar sind, die Unterschiede zwischen einzelnen Hunden derselben Rasse jedoch immens sein können. Faktoren wie Zuchtlinie (z. B. Show- vs. Arbeitslinie beim Labrador Retriever), Züchter und die individuelle Persönlichkeit spielen eine übergeordnete Rolle. Sie erklärt, dass selbst statistische Rasseunterschiede - wie die Tendenz von Labradoren, mutiger zu sein als Shelties - nur Durchschnittswerte sind. Die meisten Hunde beider Rassen befänden sich in einem großen Überschneidungsbereich. Daher warnt sie davor, von der Rasse auf den Charakter eines einzelnen Hundes zu schließen. Man müsse sich immer das Individuum ansehen.

Halsband oder Geschirr? Ein Blick auf die Bewegungsfreiheit

Ein weiterer Mythos betrifft Norwegergeschirre, denen oft nachgesagt wird, sie würden die Schulterbewegung einschränken. Dr. Nitzschner stellt klar, dass es hierfür nach aktuellem Stand der Forschung keine einheitlichen wissenschaftlichen Belege gibt. Mehrere Studien, die verschiedene Geschirrtypen verglichen, konnten keine systematische, stärkere Einschränkung durch Norwegergeschirre feststellen. Der entscheidende Faktor für die Bewegungsfreiheit sei nicht der Typ des Geschirrs, sondern dessen korrekte Passform. Sie fügt hinzu, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist und zukünftige Forschungen zu neuen Erkenntnissen führen könnten.

Praktische Tipps für Hundehalter:innen

  1. Die richtige Hundewahl treffen: Besonders für Ersthundehalter:innen kann ein erwachsener, charakterlich gefestigter Hund aus dem Tierschutz eine gute Wahl sein. Eine professionelle Beratung vor der Anschaffung hilft, einen passenden Begleiter zu finden.
  2. Individuelle Bedürfnisse erkennen: Verlasse dich weniger auf pauschale Regeln (z. B. zur Schlaf- oder Bewegungsdauer) und lerne stattdessen, die Signale deines Hundes für Müdigkeit, Stress oder Überforderung zu lesen und darauf zu reagieren.
  3. Rasse als Tendenz, nicht als Schablone verstehen: Informiere dich über die ursprünglichen Aufgaben einer Rasse, aber erwarte kein Standardverhalten. Jeder Hund ist ein Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit.
  4. Ausrüstung sorgfältig anpassen: Achte bei Geschirren und Halsbändern vor allem auf eine perfekte Passform, um Druckstellen oder Bewegungseinschränkungen zu vermeiden.
  5. Informationen kritisch hinterfragen: Dr. Nitzschners Appell lautet, skeptisch zu bleiben und nicht alles zu glauben, was in der Hundewelt, insbesondere im Internet, verbreitet wird.

In dieser Episode erwähnt

  • Buch: Die Persönlichkeit des Hundes von Dr. Marie Nitzschner, erschienen im Kosmos Verlag.
  • Instagram-Kanal von Dr. Nitzschner: hund.und.wissenschaft
  • Organisation: KynoLogisch, wo Dr. Nitzschner als wissenschaftliche Leitung tätig ist.
  • Konferenz: "Wissenschaft für die Praxis", eine Konferenz von KynoLogisch vom 6. bis 8. Oktober in Mecklenburg-Vorpommern (und online), die den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördern soll.

Diese Zusammenfassung wurde mit Hilfe von KI aus dem Transkript der Podcast-Episode generiert.

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