Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts napfcheck unterhält sich die Fachtierärztin für Tierernährung, Dr. Julia Fritz, mit der Fachjournalistin Manuela Bauer über den komplexen Zusammenhang zwischen Futter und dem Verhalten von Hunden und Katzen.
Im Fokus stehen dabei die Rollen von Proteinen, Kohlenhydraten und der Aminosäure Tryptophan. Die Episode beleuchtet, welche populären Annahmen wissenschaftlich haltbar sind und welche eher in den Bereich der Mythen gehören.
Die zentrale Frage lautet: Kann eine Futterumstellung tatsächlich Verhaltensprobleme wie Aggression, Nervosität oder Angst lösen? Die Diskussion richtet sich an alle Tierhalter:innen, die das Verhalten ihres Tieres besser verstehen und wissen möchten, welchen Beitrag die Ernährung leisten kann - und wo ihre Grenzen liegen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Der direkte Einfluss des Futters auf das Verhalten wird oft überschätzt. Faktoren wie Training, Haltung, Genetik und der allgemeine Gesundheitszustand sind meist entscheidender.
- Die Aminosäure Tryptophan ist eine Vorstufe des „Glückshormons“ Serotonin im Gehirn. Seine Aufnahme wird durch das Verhältnis zu anderen Aminosäuren (LNAAs) im Futter beeinflusst.
- Pauschale Regeln wie „weniger als 20 % Protein für nervöse Hunde“ sind wissenschaftlich nicht haltbar. Die Gesamtkomposition einer Ration ist wichtiger als der prozentuale Anteil eines einzelnen Nährstoffs.
- Gängige Mythen, etwa dass Mais oder Gluten per se Verhaltensprobleme auslösen, sind unbegründet. In einem ausgewogenen Futter werden die Nährstoffprofile einzelner Zutaten durch andere Komponenten ausgeglichen.
- Ein echter Nährstoffmangel als Ursache für Verhaltensauffälligkeiten ist bei Tieren, die ein Alleinfuttermittel bekommen, äußerst selten.
- Bei Verhaltensproblemen sind eine tierärztliche Untersuchung zum Ausschluss von Schmerzen und die Zusammenarbeit mit einem qualifizierten Trainer die wichtigsten ersten Schritte.
- Das Darm-Mikrobiom steht in Verbindung mit der Gehirnfunktion. Eine faserreiche Ernährung unterstützt die Darmgesundheit, ist aber kein Allheilmittel für Verhaltensauffälligkeiten.
Mythos Proteingehalt: Eine dünne wissenschaftliche Evidenzlage
Manuela Bauer verweist auf eine frühe Studie von Dr. Roger Mugford aus dem Jahr 1987, die einen Zusammenhang zwischen reduziertem Proteingehalt (ca. 15 %) und geringerer Aggressivität bei Hunden nahelegte. Dr. Julia Fritz ordnet diese und ähnliche Studien kritisch ein. Sie erklärt, dass viele dieser Untersuchungen aufgrund methodischer Schwächen nur eine limitierte Aussagekraft besitzen. Häufige Probleme sind:
- Geringe Teilnehmerzahlen: Oft werden nur sehr wenige Tiere untersucht.
- Fehlende Kontrolle: In Studien mit Tieren, die zu Hause leben, ist es schwer, alle Futterquellen (z. B. Leckerlis, Kauartikel) zu erfassen, was die Ergebnisse verzerren kann.
- Der Placebo-by-Proxy-Effekt: Die Erwartungshaltung der Besitzer:innen kann deren Wahrnehmung des tierischen Verhaltens beeinflussen. Wenn ein:e Halter:in glaubt, ein Futter helfe, kann allein diese Erwartung zu einer wahrgenommenen Verbesserung führen.
Dr. Fritz kommt zu dem Schluss, dass die wissenschaftliche Grundlage, um pauschale Empfehlungen für bestimmte Proteingehalte zur Verhaltenssteuerung zu geben, aktuell nicht ausreicht. Die Idee, ein Verhaltensproblem einfach durch einen Futterwechsel lösen zu können, sei zwar verlockend, aber in den meisten Fällen zu kurz gegriffen.
Der Tryptophan-Serotonin-Mechanismus: Wie Nährstoffe die Gehirnchemie beeinflussen
Ein zentraler biochemischer Zusammenhang, der in der Diskussion um Futter und Verhalten immer wieder auftaucht, ist die Rolle der Aminosäure Tryptophan. Dr. Fritz erläutert den Mechanismus:
- Tryptophan als Baustein: Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure und die Vorstufe des Neurotransmitters Serotonin, der oft als „Glückshormon“ bezeichnet wird und stimmungsaufhellend sowie beruhigend wirken kann.
- Die Blut-Hirn-Schranke: Damit Serotonin im Gehirn gebildet werden kann, muss Tryptophan aus dem Blut über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangen.
- Konkurrenz am „Türsteher“: Tryptophan konkurriert an dieser Schranke mit anderen Aminosäuren, den sogenannten „großen neutralen Aminosäuren“ (LNAA). Eine proteinreiche Mahlzeit liefert oft viele dieser LNAAs, die dem Tryptophan den Weg ins Gehirn erschweren können.
- Die Rolle der Kohlenhydrate: Eine kohlenhydratreiche Mahlzeit führt zur Ausschüttung von Insulin. Insulin hilft dabei, die konkurrierenden LNAAs in die Muskelzellen zu transportieren. Dadurch wird der Weg für Tryptophan ins Gehirn freier.
Dr. Fritz betont jedoch, dass dieser Mechanismus in der Realität sehr komplex ist. Da die meisten Futtermittel eine Mischung aus Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten sind, lässt sich dieser Effekt nicht einfach steuern. Auch Co-Faktoren wie Vitamin B6 sind für die Serotonin-Synthese notwendig.
Gängige Futtermythen im Faktencheck: Mais, Gluten und Zucker
Im Podcast werden mehrere von Hörer:innen eingebrachte Mythen diskutiert, die Dr. Fritz einordnet:
- Mais macht Hunde nervös: Dieses Gerücht basiert darauf, dass Mais relativ wenig Tryptophan enthält. Dr. Fritz erklärt, dass dies für die einzelne Zutat zwar stimmt, in einem Alleinfuttermittel aber irrelevant ist. Hersteller kombinieren Mais mit anderen, tryptophanreichen Zutaten (z. B. Fischmehl), sodass die Gesamtration ausgewogen ist.
- Gluten verursacht Verhaltensprobleme: Eine Glutenunverträglichkeit wie die Zöliakie beim Menschen ist beim Hund nicht in dieser Form bekannt. Zwar können Hunde Allergien gegen das Eiweiß in Getreide entwickeln, was sich auch auf ihr Wohlbefinden auswirkt, aber Gluten ist kein genereller Auslöser für Verhaltensauffälligkeiten.
- Zucker macht Tiere hyperaktiv: Zucker ist in Tierfutter nur in sehr geringen Mengen enthalten, oft als Hilfsstoff für die Bräunung (Maillard-Reaktion) oder zur Konservierung. Dr. Fritz stellt klar, dass diese Mengen zu gering sind, um das Verhalten zu beeinflussen. Ein negativer Effekt, wie er oft vermutet wird, ist nicht belegt.
Das Darm-Mikrobiom: Die Verbindung zwischen Darm und Gehirn
Ein weiterer aufkommender Forschungsbereich ist die sogenannte „Darm-Hirn-Achse“. Das Mikrobiom - die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm - kann die Gesundheit und potenziell auch das Verhalten beeinflussen. Dr. Fritz erklärt, dass bestimmte Darmbakterien Substanzen produzieren können, die als Botenstoffe im Körper wirken (z. B. GABA). Die Forschung hierzu steht noch am Anfang, aber es ist denkbar, dass ein gesundes Mikrobiom zu einem ausgeglicheneren Verhalten beitragen kann. Die Unterstützung des Mikrobioms durch eine faserreiche Ernährung ist daher für die allgemeine Gesundheit des Tieres sinnvoll.
Praktische Ansätze: Was wirklich hilft
Dr. Fritz betont, dass Ernährung zwar eine unterstützende Rolle spielen kann, aber selten die alleinige Lösung für Verhaltensprobleme ist. Besonders bei ernsten Themen wie Angst oder Aggression sind andere Maßnahmen wichtiger. Bei spezifischen Problemen gibt sie folgende Einordnungen:
- Kotfressen (Koprophagie): Ist laut Dr. Fritz in den allermeisten Fällen ein erlerntes Verhaltensproblem und keine Mangelerscheinung. Die Aufmerksamkeit der Besitzer:innen kann das Verhalten ungewollt verstärken. Hier ist konsequentes Training der Schlüssel zum Erfolg.
- Stressbedingte Blasenentzündung bei Katzen (FIC): Hier sieht Dr. Fritz die Ursache häufig im Umfeld und nicht im Futter. Ein entscheidender Faktor ist das Toiletten-Management. Sie rät zu großen, offenen Katzentoiletten ohne Deckel, da viele Katzen geschlossene Klos als stressig empfinden.
- Scheinschwangerschaft: Dies ist ein hormonelles Geschehen, das nicht durch Fütterung beeinflusst werden kann. Hier ist der Gang zum Tierarzt ratsam.
Wichtige Protokolle und Tipps
Basierend auf der Diskussion lassen sich folgende handlungsorientierte Empfehlungen ableiten:
- Ganzheitliche Ursachenforschung: Schließe bei Verhaltensproblemen immer zuerst medizinische Ursachen (z. B. Schmerzen) durch einen Tierarzt aus.
- Professionelles Training: Ziehe eine:n qualifizierte:n Verhaltenstrainer:in hinzu. Ernährung kann Training unterstützen, aber nicht ersetzen.
- Ausgewogene Basis-Fütterung: Sorge für ein hochwertiges, gut verdauliches und bedarfsdeckendes Futter. Ein Tier, das sich körperlich wohlfühlt, ist auch mental ausgeglichener.
- Gezielte Ergänzungen (unterstützend):
- Tryptophan: Produkte auf Basis von Molkenprotein können als Tryptophan-Quelle dienen. Gib sie am besten als Leckerli zwischen den Mahlzeiten, um die Konkurrenz mit anderen Aminosäuren zu reduzieren.
- Weitere Substanzen: In manchen Fällen können auch Ergänzungen mit Alpha-Casozepin (aus Milch) oder L-Theanin (aus grünem Tee) beruhigend wirken.
- „Brainfood“ vor dem Training: Eine kleine, leicht verdauliche Kohlenhydratquelle (z. B. etwas Porridge oder eine Banane) vor einer Trainingseinheit kann Hunden helfen, sich besser zu konzentrieren.
- Darmgesundheit fördern: Unterstütze das Mikrobiom durch die Gabe von Ballaststoffen (z. B. Apfelfasern, Flohsamen, spezielle Fasermischungen).
In dieser Episode erwähnt
- Studie: Dr. Roger Mugford (1987) zum Einfluss von Eiweiß auf das Verhalten von Hunden.
- Nährstoffe & Substanzen: Tryptophan, Große neutrale Aminosäuren (LNAA), Serotonin, Vitamin B6, Alpha-Casozepin, L-Theanin, mittelkettige Fettsäuren (MCT), DHA.
- napfcheck Produkte: Relax Tabs (mit Molkenprotein als Tryptophan-Quelle), VetBiom (Fasermischung).